Bis Ende Jahr haben wir, inklusive heute, noch 3 Termine zum Fertigstellen unserer Gedichtsammlung. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, 20 Gedichte zu übersetzen. Heute haben wir Nummer 14 und 15 übersetzt.
Sadaf schreibt meist Gedichte, die aus mehreren Zweizeilern bestehen, die eine Fragestellung variieren, z.B. im Frage-Antwort-Modus. Das letzte Gedicht von heute „Mein Land Afghanistan“ bricht mit dieser Form. Es erinnert formal an ein Listengedicht – mit einem unerwarteten Schluss.
Diesen Text hat Sadaf als Reaktion auf die Attentate auf die Universität Kabul geschrieben.
Mein Land Afghanistan
Jemand fragte mich: Wie heisst dein Land? Und was gilt in deinem Land als Verbrechen?
Ich sagte mit bestürztem Gesicht und Tränen in den Augen:
Mein Land ist ein Ort, an dem das Lernen ein Verbrechen ist.
Mein Land ist ein Ort, an dem der Schul- und Universitätsbesuch ein Verbrechen ist.
Mein Land ist ein Ort, an dem es ein Verbrechen ist, eine Tochter oder eine Schwester zu haben.
Mein Land ist ein Ort, an dem das Lachen ein Verbrechen ist.
Mein Land ist ein Ort, an dem liebevolle Liebe ein Verbrechen ist.
Mein Land ist ein Ort, an dem der Versuch, seine Ziele zu erreichen, ein Verbrechen ist.
Mein Land ist ein Ort, an dem der Versuch, dieses Land zu entwickeln, ein Verbrechen ist.
Mein Land ist ein Ort, an dem es ein Verbrechen ist, glücklich zu sein und mit der Familie zu lachen.
Mein Land ist ein Ort, an dem Frieden ein Verbrechen ist.
Ja, mein Land ist Afghanistan, wo selbst entspanntes Atmen ein Verbrechen ist.
Du, der du diesen Text gelesen hast: Wenn du jetzt immer noch ruhig atmen kannst und dieser Text, den ich geschrieben habe, ist in deinem Land kein Verbrechen, dann lächle und arbeite für die Zukunft deines Landes!
Sadaf Murad, 2. November 2020.
137 - Ministipendium Nr. 6, Sadaf Murat. Schreibcoach: Jurczok 1001.
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